Insekten - erstaunliche Vielfalt!
Insekten gelten oft als lästig – dabei sind sie die mit Abstand artenreichste Tiergruppe unseres Planeten. Weltweit sind Hunderttausende Arten beschrieben, und es dürften noch einmal mindestens so viele unentdeckt sein. In der Schweiz zeigt sich dieses verborgene Potenzial besonders eindrücklich.
Wie viele Insekten gibt es in der Schweiz?
Offiziell sind hierzulande fast 30 000 Insektenarten bekannt. Aktuelle Hochrechnungen, unter anderem von Hannes Baur und Stefan Ungricht im Magazin HOTSPOT, kommen aber zum Schluss, dass tatsächlich rund 44 000–60 000 Arten in der Schweiz leben dürften. Das bedeutet: Mindestens ein Drittel, wahrscheinlich eher die Hälfte aller heimischen Insektenarten ist wissenschaftlich noch gar nicht erfasst. In einem Szenario mit etwa 58 000 Arten wären ungefähr 29 400 beschrieben – und ähnlich viele erst geschätzt, aber noch ohne Namen und genaue Beschreibung.
Warum wissen wir so wenig?
Dass unsere Unkenntnis so gross ist, hat mehrere Gründe:
- Gigantische Vielfalt: Allein bei den Haut- und Zweiflüglern (Wespen, Bienen, Mücken, Fliegen) gibt es in der Schweiz jeweils mehrere Tausend Arten – viele davon winzig klein und unscheinbar.
- Zu wenige Spezialist:innen: Für viele Gruppen existieren weltweit nur noch eine Handvoll Fachleute; bei manchen fast niemand mehr.
- Zeitaufwendige Bestimmung: Klassische Taxonomie braucht Mikroskop, Vergleich mit Sammlungen und viel Erfahrung – die Beschreibung einer einzigen neuen Art kann Tage oder Wochen dauern.
- Neue Methoden zeigen, wie viel fehlt: DNA-Barcoding-Projekte – z.B. die kanadische Studie von Paul Hebert – haben gezeigt, dass die genetische Vielfalt vieler Insektengruppen um ein Mehrfaches höher ist als die Zahl der bisher beschriebenen Arten.
Überträgt man solche Ergebnisse auf die Schweiz, wird klar: Das, was wir kennen, ist nur die Spitze des Eisbergs.
Unersetzliche Leistungen
Trotzdem sind Insekten nicht nur viele, sondern auch systemrelevant:
- Sie bestäuben Wild- und Nutzpflanzen.
- Sie bauen organisches Material ab und verbessern die Bodenfruchtbarkeit.
- Sie regulieren Schädlinge.
- Sie sind eine zentrale Nahrungsquelle für Fische, Vögel, Fledermäuse und viele andere Tiere.
Ohne Insekten würden Ökosysteme und damit auch Landwirtschaft und Ernährungssicherheit zusammenbrechen.
Ein Reichtum unter Druck
Gleichzeitig ist die Insektenvielfalt massiv bedroht:
- In der Schweiz sind von 1 153 bewerteten Insektenarten fast 60 % gefährdet oder potenziell gefährdet.
- Langzeitstudien zeigen starke Rückgänge von Individuenzahlen und Biomasse – bekannt wurde etwa die Krefeld-Studie, die in deutschen Schutzgebieten einen Rückgang der flugfähigen Insektenbiomasse um rund 75 % in 27 Jahren fand.
- Metaanalysen sprechen von durchschnittlich knapp 1 % Rückgang landlebender Insekten pro Jahr – das sind rund 24 % in 30 Jahren.
Haupttreiber sind intensive Landwirtschaft mit Pestiziden und Düngern, Verlust und Zerschneidung von Lebensräumen, Lichtverschmutzung sowie der Klimawandel.
Das Paradox: Gerade jene Gruppen, von denen wir am wenigsten wissen, sind oft am stärksten betroffen. Arten könnten aussterben, bevor sie überhaupt einen Namen erhalten haben.
Was heisst das für uns?
Die Schweizer Berichte zu Insektenvielfalt und Insektenrückgang betonen drei zentrale Botschaften:
- Wissen ausbauenTaxonomie, Sammlungen, DNA-Barcoding und Nachwuchs für die Insektenforschung fördern.
- Lebensräume sichern und aufwerten durch vielfältige, vernetzte Lebensräume in Landwirtschaft, Siedlungen und Schutzgebieten; Pestizid- und Nährstoffeinträge reduzieren, strukturreiche Flächen und naturnahe Gewässer fördern.
- Faszination vermitteln, Insekten nicht nur als „Plagegeister“ zeigen, sondern als faszinierende Erfolgsmodelle der Evolution, von der winzigen Gallmücke bis zur farbenprächtigen Libelle.
Fazit
Insekten sind in der Schweiz viel artenreicher als lange angenommen – wahrscheinlich leben hier zehntausende Arten, von denen wir nur etwa die Hälfte wirklich kennen. Gleichzeitig schrumpfen ihre Bestände in alarmierendem Tempo. Gerade diese Kombination aus unerwarteter Vielfalt und dramatischem Rückgang macht Insekten zu einem Schlüsselthema der Biodiversität: Wer sie schützt, schützt unzählige ökologische Beziehungen – und damit letztlich auch unsere eigene Lebensgrundlage.





